Unser Fehler wurde korrigiert. Die rote Linie, die zielstrebig zu dem kurzen Trampelpfad zwischen Kabelwerk und U-Bahn führte, ist verschwunden. Säuberlich abgetrennt am Rand des gepflasterten kleinen Platzes. Die Ordnung ist wieder hergestellt. Wie es dazu gekommen ist, wissen wir nicht. Die Spuren am Tatort lassen wenige Rückschlüsse zu, die meisten Fragen bleiben offen:
Was hat es mit dem Trampelpfad auf sich? „Das Alltägliche setzt sich aus allen möglichen Arten des Wilderns zusammen.“ Schreibt Michel deCerteau, zu oft zitierter französischer Alltags-Theoretiker, und meint, dass die alltägliche Produktion der Stadt durch ihre Bewohner_innen nicht immer in den vorgeschriebenen Bahnen verläuft. Auf ihren alltäglichen Wegen halten sich die Passanten manchmal nicht an die asphaltierten Routen. Vielleicht haben sie keine Zeit zu verlieren auf dem Weg zur U-Bahn, vielleicht wollen sie sich einfach unnötige Umwege ersparen (und wenn es nur 5m) sind, vielleicht haben sie Freude daran, auf ihre Weise Stadtplanung- und Entwicklung voranzutreiben. Ein Trampelpfad als praktizierte Bürgerbeteiligung. Oder doch eine Form der Wilderei? Selbst wenn: Die Wilderer sind zumindest im Fernsehen immer bei den Guten. Vielleicht gilt das aber nicht, wenn ihre Pfade durch städtische Grünstreifen verlaufen.
Wenn es nach deCerteau geht, sind die Listen, Taktiken und Abkürzungen der Passanten ein Moment der Subversion der herrschenden Ordnung. Das ist dann doch ein bisschen sehr optimistisch: Der Disney-Konzern z.B. wartet mit der Asphaltierung der Wege in einem neu eröffneten Vergnügungspark ab, bis sich herausstellt, welche Wege die Besucher tatsächlich nehmen. Was einmal ein Akt der Wilderei war, wird dann ein Instrument zum Management der Menge, zu einer sanften Regierungstechnik.
Warum musste die Linie verschwinden? Vielleicht nur deshalb, weil sie ein Geheimnis verraten hat, die Aufmerksamkeit auf den Trampelpfad gelenkt hat und den Alltags-Wilderern auf die Schliche gekommen ist.